Wenn der Handlungsraum keine Grenzen mehr hat – Digitalisierung in der Sozialen Arbeit


Sie bestimmt unseren Alltag, hat die Wirtschaft revolutioniert, ist kaum noch aus der Arbeit vieler Menschen wegzudenken. Dennoch scheint sie in der sozialen Arbeit noch nicht so ganz angekommen zu sein. Wovon ich hier rede ist die Digitalisierung.

Über diesen Blog gestalte ich mir eine Plattform, auf der ich meine Erfahrungen weitergebe. Diese Plattform bewerbe ich auf sozialen Medien, die ich ganz nebenbei auch privat sehr regelmäßig nutze. Es gibt wenige Tage im Jahr, an denen ich wenig bis gar nicht auf mein Handy schaue und die sind meistens auf Urlaubs- oder Krankheitstage beschränkt. Ansonsten beeinflusst die Digitalisierung meine Lebenswelt enorm. Ich bin geboren worden, da gab es das Internet schon, also bin ich per Definition wohl ein ‚Digital Native‘. Die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen, die nach mir geboren sind, ist noch viel mehr von Digitalisierung geprägt. aDie sozialen Medien bestimmen seit Anfang der 2000-er Jahre unsere Kommunikationswege; Facebook ist beispielsweise heute 15 Jahre alt.

Mittlerweile wird der Zugang zu Internet-Suchmaschinen und den gängigen Office-Programmen sogar von einigen Schulen vorausgesetzt, sodass Hausaufgaben teilweise nur bearbeitet werden können, wenn ein solcher Zugang vorhanden ist. Neben der privaten Mediennutzung der Jugendlichen setzen auch solche Anforderungen seitens der Bildungseinrichtungen die stationäre Jugendhilfe vor neue Herausforderungen.

Jan Graf ist 2014 für die ev. Jugendhilfe Godesheim tätig und sieht sich und sein Arbeitsfeld mit diesen Herausforderungen konfrontiert. Die ev. Jugendhilfe Godesheim gehört zum diakonischen Trägerverbund der Julius-Axenfeld-Stiftung und ist ein großer Erziehungshilfeträger im Köln-Bonner-Raum. In den Jahren 2014 und 2015 kam es zur Aufnahme einer großen Anzahl junger Menschen mit Fluchtbiografie. Zusammen mit einer Kollegin entwickelt Herr Graf die Idee eines Medienprojekts mit dem Ziel, den Jugendlichen das Ankommen in Köln und Bonn über digitale Medien zu erleichtern. 2015 startet Stadtgrenzenlos als Pilotprojekt. Es ist zwar nicht das erste Projekt, das einen medienpädagogischen Ansatz verfolgt, jedoch ist zu dem Zeitpunkt noch kein anderes Projekt so bekannt, dass sich Graf und sein Team eine Blaupause davon machen könnten. Mit einer Förderung der UNO-Flüchtlingshilfe kann sich das Projekt so aufbauen, dass es vor zwei Jahren zum eigenständigen sozialen Unternehmen wird. Mittlerweile besteht das Team aus drei Vollzeitkräften, mehreren Projektmitarbeitenden, Honorarkräften und Ehrenamtlichen. Viele Projekte werden immer noch in enger Kooperation mit der ev. Jugendhilfe Godesheim erarbeitet. Für Projekte, die über Godesheim hinausgehen, arbeitet das Team mit Honorarkräften oder Kolleg*innen der Fachstelle Jugendmedienkultur aus Köln zusammen. 
Zwar reifte die Idee für ‚Stadtgrenzenlos‘ in der Arbeit mit jungen geflüchteten Menschen, jedoch ist Digitalisierung und die technische Entwicklung in allen Handlungsfeldern der sozialen Arbeit präsent und relevant. So äußern inzwischen auch Fachkräfte aus anderen Bereichen den Wunsch, sich intensiver mit digitalen Medien und der Medienarbeit auseinanderzusetzen, so Jan Graf.

Digitale Entwicklungsprozesse von Jugendhilfeträgern

Zusammen mit unterschiedlichen Zielgruppen der kompletten Bandbreite der Erziehungshilfe werden dementsprechend unterschiedliche Projekte bearbeitet: von klassischen Medienprojekten in Wohngruppen und Teams bis hin zu längerfristigen, begleiteten Entwicklungsprozessen insgesamt in Einrichtungen – mit der Leitung sowie verschiedenen Organisations-Ebenen – ist alles dabei.

In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es um die direkte Medienpraxis; seitens der Einrichtungen geht es vordergründig um Strukturen und Prozesse. Es wird z.B. eine Arbeitsgruppe Digitalisierung (aus Fachkräften der Einrichtungen) sowie ein Steuerungsteam (aus Leitungen und Medienscouts) gegründet. So wird nach und nach an verschiedenen Stellschrauben gedreht, um digitale Entwicklungsprozesse loszutreten.

Tatsächlich ist es oft eine Frage des Alters, erklärt mir Jan Graf. Fachkräfte und Mitarbeitende reagieren sehr unterschiedlich auf die Entwicklungen: Gerade älteren Kolleg*innen fällt eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik – verständlicher Weise – oftmals schwer. Aber auch bei den Jugendlichen gibt es unterschiedliche Kompetenzen. Und es ist davon auszugehen, dass der Bedarf weiterhin steigen wird. Die Veränderung passiert schnell und wird sich intensivieren. Umso nötiger wird es sein, es den Jugendlichen zu ermöglichen, diese digitalen Kompetenzen zu erwerben.

Vergrößerung geplant

Die Resonanz in den Einrichtungen, mit denen ‚Stadtgrenzenlos‘ zusammenarbeitet ist durchweg positiv. Es gibt immer mehr Anfragen; mittlerweile ist das Team fast zu klein, um alle bearbeiten zu können. Eine Vergrößerung ist geplant. Da das Thema in der stationären Kinder- und Jugendhilfe immer noch sehr unterbeleuchtet ist, ist ein großer Bedarf an Weiter- und Fortbildungen im digital-pädagogischen Bereich.

Ich frage Jan Graf, woran es liegt, dass ein so großes und so wichtiges Thema nicht genug Raum zu finden scheint. Denn digitale Medien spielen eine immer größere Rolle: Fast alle Kinder und Jugendlichen haben Smartphones, in den Konzepten und Mitarbeiter-Qualifizierungen scheint sich diese Praxis nicht wiederzufinden.

Der Gefahr der Exklusion entgegenwirken

Der digitale Wandel führt nicht dazu, dass die Benachteiligung von Kindern mit einem schwierigen biografischen Werdegang weniger wird, sondern droht, sich fortzusetzen. Es fehlen Zugänge. Die Medienbildung kommt im pädagogischen Alltag schlicht weg zu kurz. Daher ist es umso wichtiger, das Thema auch in den Ausbildungen der Fachkräfte stärker zu präsentieren. Jan Graf hofft auch, dass es sich in den Studiengängen mehr wiederfindet. Ich erinnere mich daran, einen Seminartag zum Thema Digitalisierung gehabt zu haben, von dem erstaunlich wenig hängen geblieben ist.

Das Thema wird von vielen Einrichtungen nachgefragt. In umfassenden Entwicklungsprozessen wird daran gearbeitet, wie sich Einrichtungen mit Blick auf die Entwicklungen im Medienbereich passend aufstellen können. Stadtgrenzenlos hat daher das Fortbildungsprogramm erweitert: Es bietet die Möglichkeit einer Weiterbildung zum/r Digitalpädagog*in an. Hier wird bewusst zwischen Digital- und Medienpädagogik unterschieden. Denn aufgrund der Besonderheiten der stationären Hilfen kann nicht einfach die Medienpädagogik in die Erziehungshilfe übertragen werden.

Da es immer häufiger vorkommt, dass bei der Aufnahme auch der exzessive Medienkonsum der Jugendlichen eine Rolle spielt, wird derzeit an einem Anamnesetool gearbeitet. Dieses soll die Mitarbeitenden dabei unterstützen soll, die digitalen Kompetenzen der Jugendlichen besser einordnen zu können.

Ich merke, es ist noch viel zu tun. Aber das Team von ‚Stadtgrenzenlos‘ scheint auf dem richtigen Weg zu sein. Ich hoffe, dass sich auch die Rahmenbedingungen an die tatsächliche Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen anpassen werden und so die Digitalisierung nicht als Hindernis, sondern als Ressource gesehen und genutzt werden kann.

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