Muss ein Hospiz immer auch ein Ort der Trauer und des Abschieds sein? Wie lebt es sich dort und wie sieht der Arbeitsalltag eines Pädagogen im Kinderhospiz aus? Mit diesen Fragen im Gepäck mache ich mich auf den Weg nach Bethel.
Ich treffe René Meistrell in seinem Büro im Nazarethweg. Hier arbeitet er, wenn er nicht im Kinderhospiz ist, als Dozent. René Meistrell ist Diplompädagoge und leitet das pädagogische Team des Kinder- und Jugendhospiz Bethel. Zuvor macht er tagesstrukturierende Maßnahmen mit Menschen mit geistiger Behinderung, Autismus oder Verhaltensauffälligkeiten in der Eingliederungshilfe Bethel. Was erstmal wie ein komplett neues Arbeitsfeld wirkt, ist gar nicht so anders. René Meistrell erklärt mir: „Auch in der Eingliederungshilfe sterben regelmäßig Menschen.“ Ob plötzlich oder durch Krankheiten – auch hier sind das Abschiednehmen und palliative Begleitung Teil der pädagogischen Arbeit.
Entgegen dem weit verbreiteten
Bild eines Kinderhospizes, in dem hauptsächlich Kinder mit Krebserkrankung
sind, die kognitiv relativ fit sind, macht René Meistrell andere Erfahrungen: „Die
gibt es natürlich auch, aber der Großteil der Kinder, die in ein Kinderhospiz
kommen, sind dann tatsächlich auch einfach Kinder mit starken
Beeinträchtigungen – vor allem auch
geistiger Art. Also die Zahl derjenigen, die sich wirklich aktiv äußern können
zum Beispiel, ist eher gering.“ Etwa nur ein Zehntel der Kinder im Kinder- und Jugendhospiz
Bethel haben eine Krebserkrankung, eher sogar weniger.
Seit etwa einem halben Jahr vor
der Eröffnung vor sechs Jahren ist René Meistrell Teil des Teams. Neben des
relativ kleinen pädagogischen Teams gibt es ein großes Pflege-Team, das sich um
die erkrankten Kinder kümmert. Auch vor Ort im Haus ist die Hauswirtschaft.
Diese kümmert sich z.B. darum, frisch zu kochen und auf die Wünsche der Gäste
einzugehen. „Hospiz heißt ja erstmal nur Herberge“ erklärt mir
René Meistrell. Daher werden die Familien, die das Hospiz besuchen, Gäste
genannt und auch wie Gäste beherbergt. Angebunden an das Haus gibt es noch das
SAPV-Team (spezialisierte ambulante Palliativversorgung). Dieser ambulante
Dienst begleitet in der Region Ostwestfalen-Lippe Familien zuhause.
Es kommt auch vor, dass Familien, die vom SAPV-Team begleitet
werden, in Krisensituationen stationär ins Kinderhospiz Bethel kommen.
Die Dauer des Aufenthalts ist i.d.R. in stabilen Phasen auf vier Wochen im Jahr verteilt begrenzt. In
Krisensituationen oder der Endphase eines Lebens gibt es tatsächlich keine
Begrenzung. „Das längste war ungefähr ein halbes Jahr“ berichtet René
Meistrell.
„Eigentlich ist kein Tag wie der andere.“
Als ich mir ein Kinderhospiz
vorgestellt habe, hatte ich ein tristes Haus vor Augen, das mehr an ein
Krankenhaus als an ein Zuhause erinnert, in dem Trauer spürbar zum Alltag gehört. Als
ich das Kinder- und Jugendhospiz Bethel zum ersten Mal sehe, bin ich überrascht: Das große, helle, bunte und auf den ersten Blick sehr fröhlich gestaltete Haus am Remterweg
in Bethel macht den Eindruck einer klassischen Kinder- und Jugendherberge. Was
das Haus von anderen Kinder- und Jugendeinrichtungen unterscheidet ist, dass es
keinen vorgegebenen Tagesablauf gibt. „Die
Familien geben die Regeln vor“ erklärt René Meistrell.
"Ich erinnere mich, dass ein Vater erzählte, dass sein Sohn im Unterricht auf die Frage einer Lehrerin, wo er denn am Liebsten seinen Urlaub verbringe, gesagt hat: 'Ja, im Kinderhospiz.' und die dann aus allen Wolken gefallen ist. Aber für die Kinder ist das einfach ein Ort, wo sie spielen können, wo es bunt ist, wo es viele Angebote gibt, wo sich Leute um sie kümmern, wo die Eltern entspannt sind, wo es dem Geschwisterkind gut geht. Das ist für die ein rundum positiv besetztes Haus."
Ein Erwachsenenhospiz ist oft der letzte Weg, wohingegen das Kinder- und Jugendhospiz Entlastungsaufenthalte anbietet, die Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern für diesen Zeitraum regelmäßig in Anspruch nehmen können. „Da ist das Verhältnis so zehn zu eins. Also auf zehn Entlastungsaufenthalte kommt tatsächlich eine Finalbegleitung.“ Daher ist die Stimmung im Haus auch von Leben geprägt, zwar schwingt das Thema Tod immer mit, aber der Alltag der Familien wird eh davon bestimmt. Sie kommen, laut René Meistrell, mit dem Wunsch nach Normalität „und ein Stückweit versuchen wir, ihnen das zu geben.“
Zwischen dem eigenen Leid und dem Leid der Familie zu trennen war für ihn etwas, das er lernen musste. "Aber inzwischen muss ich wirklich sagen, dass ich wenig mit nachhause nehme." Dennoch ist es für ihn immer noch eine „kribbelige Situation“,
wenn er ins Haus kommt, weiß, dass ein Kind verstorben ist und noch nicht auf
die Eltern getroffen ist. „Es gibt Familien, die sagen, bevor wir in der
Situation überfordert sind und nicht reagieren können, regeln wir vorher z.B.
alles schon mit dem Bestatter. […] und andere sagen, sie müssen konkret in der
Situation entscheiden.“ So unterschiedlich die Familien sich vorbereiten und so
unterschiedlich ihre Bedarfe sind, so flexibel sind auch die Mitarbeitenden des
Kinder- und Jugendhospiz Bethel.
Den Weg mitgehen
Als potentielle Diakonin
interessiert mich natürlich auch, welche Seelsorge-Angebote es im Kinder- und
Jugendhospiz Bethel gibt. Seelsorgerliche Gespräche passieren oft niedrigschwellig,
die Übergänge sind manchmal fließend. Es gibt eine Pastorin im Kinder- und Jugendhospiz Bethel, die den Familien
seelsorgerliche Beratungen anbietet, „aber manchmal bin ich nicht die richte
Ansprechperson und manchmal ist die Pastorin nicht die richtige Ansprechperson.
Auch das gehört, finde ich, zu einer Professionalität, zu sagen ‚OK, ich glaube
da kümmert sich lieber die Kollegin oder der Kollege drum.‘ […] Da guckt jeder
so ein bisschen aus seiner Perspektive drauf, es ergänzt sich alles.“
So ist es z.B.
im Sommer vorgekommen, das beim Grillen ein Vater auf René Meistrell zugekommen
ist und ihm erzählt hat, wie es damals war, als sie die Diagnose bekommen
haben. „Und dann wechsle ich natürlich in eine andere Rolle: Also von dem
Entertainer oder Moderator dann eher in diese Sozialpädagogen-
Sozialarbeiter-Rolle.“ Gerade diesen niedrigschwelligen Zugang und die
Flexibilität zeichnet das Haus aus. „Wir wollen ja wirklich Alltag gestalten
mit den Familien, das Leben stärken, die Zeit, die man hat einfach schön und
sinnvoll füllen.“ Ein gemeinsames
Verständnis von Diakonie und eine diakonische Identität im Team legt René
Meistrell der Zusammenarbeit zu Grunde. Sobald es um eine „explizite,
diakonische Identität“ geht, spielt die Seelsorge und die Arbeit der Pastorin
eine konkretere Rolle. „Immer, wenn wir ein gestorbenes Kind im Haus haben,
versuchen wir eigentlich, zeitnah eine Aussegnung zu machen – für die Familie,
auch für die Mitarbeitenden.“ Das wird sowohl von Gästen, als auch von den
Mitarbeitenden als sehr hilfreich empfunden, um sich gemeinsam zu verabschieden.
Als das Hospiz eröffnet, gibt es wenig Beispiele, an denen sich die Mitarbeitenden orientieren können. Alles, was über den in den Rahmenbedingungen der Krankenkassen vereinbarten Tagessatz (wie in normalen Pflegeeinrichtungen auch) hinausgeht - also auch pädagogische, heilpädagogische, seelsorgerliche, beraterische Angebote, etc. - muss entweder durch Spenden finanziert werden oder ehrenamtlich geschehen. Insgesamt müssen etwa drei Viertel von dem, was das Hospiz anbietet, durch Spenden finanziert werden. Seit einer Reform der Rahmenbedingungen der Krankenkassen, die zu Beginn des Jahres 2018 in Kraft getreten ist, wird zum einen das pädagogische Angebot deutlicher definiert und auch zum Teil finanziert. Es gibt zum ersten Mal Bedingungen explizit auch für Kinderhospize, eine Koordinationsstelle für das Ehrenamt wird finanziert. So ist es mittlerweile die Hälfte der Kosten, die durch Spenden getragen werden müssen. Das ist zwar eine Verbesserung, dennoch bleibt es für die Mitarbeitenden der Kinderhospize ein Kampf, den Kindern und ihren Familien alle Angebote, die sie benötigen und die ihnen helfen, Normalität zu leben, anbieten zu können.
Inzwischen gibt es ein wachsendes Netzwerk der Kinder- und Jugendhospize in Deutschland. Verschiedene Gremien treffen sich regelmäßig, bearbeiten aktuelle Fragen, entwickeln Dinge weiter - wie z.B. auch die Rahmenbedingungen der Krankenkassen.
Neben finanzieller Unterstützung bedarf ein solches Berufsfeld natürlich vor allem Menschen, die mit dem Herzen dabei sind und sich auf die Arbeit einlassen. Dafür appelliert auch René Meistrell: "Wir versuchen, das Leben zu stärken. Und ich finde es eine hoch sinnvolle Aufgabe und kann wirklich nur dafür werben, den Bereich als Berufsfeld in Betracht zu ziehen."
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