Es hat fast 30 Grad. Es ist Stadtfest. Ich habe Lust auf Eis oder was Kaltes zu trinken. Trotzdem packe ich mir eine Jacke ein und mache mich auf den Weg zu der jungen Dame, mit der ich seit nun fast zwei Jahren meine Sonntagnachmittage verbringe. Mit einem letzten Fünkchen Hoffnung frage ich sie, ob wir wirklich wirklich wirklich nicht vielleicht doch wenigstens für eine kurze Zeit über den Markt in der Stadt laufen wollen, uns ein Eis holen oder irgendetwas anderes draußen machen. Wie zu erwarten, sind das alles keine Optionen. Denn wir gehen bis zur nächsten Bahnhaltestelle. Und zwar nicht, um mit der Bahn zu fahren. Wenn dann fahren wir bis zum Hauptbahnhof - da sind immerhin mehrere Gleise und es fahren alle vier Bahnen. Wir schauen uns die Bahnen an. Im untersten Gleis zieht es immer, wenn eine Bahn kommt, sodass wir bei den fast 30 Grad draußen hier unten tatsächlich unsere Jacken anziehen. Wir setzen uns auf eine Bank und schauen uns zwei Stunden die Bahnen an. Jana - wie ich meine Begleitung aus Anonymitäts-Gründen nennen will - beobachtet ganz genau, wann welche Bahn vorbei fährt, horcht auf, wenn der Gong erklingt und eine Frauenstimme die nächste Bahn ankündigt. "Linie 1 Richtung Bethel - Senne" Jana wiederholt, dass die Linie 1 kommt und guckt mich mit erwartungsvollen großen Augen an. Dieses Leuchten, was ich da sehe, könnte keine Kugel Eis der Welt auslösen. Das weiß ich tatsächlich, weil sie sich einmal erbarmen konnte, mit mir Eis zu essen und am Ende überall geschmolzenes Eis verteilt war, weil sie mir die Peinlichkeit ersparen wollte, zu sagen, dass es ihr wirklich nicht geschmeckt hat und es deshalb einfach sehr, sehr langsam gegessen hat. "Tomaten" sagt sie, zeigt auf die Bahn, die gerade im Tunnel verschwindet. "Sind da Tomaten drauf gewesen?" frage ich sie. Mir fällt auf, dass ich eigentlich gar nicht darauf geachtet habe, wie die Bahnen aussehen und fange an, darauf zu achten. Es gibt drei verschiedene Modelle stellen wir fest. Vier Linien in vier Farben. Ab und zu steigen Menschen ein und aus. Einige haben einen Kinderwagen dabei, andere einen Hund. "Was denkst du, was kommt als nächstes?" frage ich Jana. "Die zwei" sagt sie entschlossen. Ich sage "Ich glaube, die drei kommt zuerst." Die drei fährt von rechts ein, keine drei Sekunden später kommt die zwei aus der entgegengesetzten Richtung. Das passiert so oft, dass es uns nicht mehr wundert, trotzdem müssen wir beide lachen. Ich merke, wie eine ältere Frau an uns vorbei läuft und vom Lachen angesteckt wird. Grinsend geht sie die Treppe rauf. Ich erinnere mich an den Eis-Tag und die Stille. Stille gibt es auch hier, manchmal schweigen wir uns Minuten lang an. Aber es ist eine andere Art der Stille. Wir nehmen wahr, wir beobachten. Und wir grinsen um die Wette. Normalerweise betrete ich die unterirdischen Haltestellen genau aus einem Grund: Um mit der Bahn zu fahren. Aber Jana bringt mir bei, diesen Ort ganz neu kennen zu lernen. Sie lässt mich einmal die Woche ihr Umfeld ein Stück weit durch ihre Augen sehen und ich merke, wie blind ich manchmal bin. Gucke auf mein Handy, telefoniere, höre Musik, bin mit dem Kopf überall, nur nicht dort, wo ich tatsächlich bin. Es ist für mich eine kleine Auszeit vom lauten Alltag oben, da wo die Sonne scheint, die Menschen über den Markt laufen und sich treffen. Für Jana ist es jedes Mal ein Erlebnis. Auf dem Rückweg erzählt sie mir, welche Bahnen sie heute gesehen hat und wir quizzen uns gegenseitig, welche Bahn welche Farbe hatte. Mit einem Grinsen im Gesicht fahre ich mit der Bahn nachhause.
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