Ein Gastbeitrag von Katharina Köhnke
In der Praxisphase meines Studiums der Sozialen Arbeit war ich
in einer niedrigschwelligen Drogenhilfeeinrichtung in Nordrhein-Westfalen
tätig. Konkret heißt das: In einer Sparte der Sozialen Arbeit, der Drogenhilfe.
Diese teilt sich nochmal auf in verschiedene Säulen: Prävention, Rehabilitation
und Drogenberatung, Repression und die niedrigschwellige Drogenhilfe.
Niedrigschwellig bedeutet in diesem Fall eine Einrichtung mit Kontaktcafé,
Ambulanz, Beratungen und Drogenkonsumräumen. Dort können Drogengebraucher*innen illegalisierte Drogen – wie Heroin oder
Kokain – in einem legalen, geschützten Rahmen unter Aufsicht und sauberen
Bedingungen konsumieren. Die Arbeit in der Einrichtung hat mich von Anfang an
fasziniert. Zunächst war es vielleicht der Reiz, mich selbst zu schocken mit
etwas, das ich noch nie gemacht hatte (vor allem auch meine Angst vor Nadeln zu
überwinden). Vorher habe ich immer 'nur' mit Kindern und Jugendlichen
gearbeitet. Plötzlich waren es Erwachsene, die in der Regel in ihrem Leben
schon viel mitgemacht hatten, teilweise an der Nadel hingen. Aber auch das
Konzept der Einrichtung, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, einen Beitrag zu
ihrer Gesundheit zu leisten, Ansprechpartnerin zu sein für die, die sonst durch
die Hilfesysteme fallen hat mich beeindruckt. Nach meinem Praktikum bin ich
relativ schnell in der Einrichtung als Aushilfe angestellt worden. Mittlerweile
sind es zwei Jahre, die ich schon dort arbeiten darf. Ich liebe diesen Job und
ich habe in den insgesamt zweieinhalb Jahren mehr über mich, die Gesellschaft
aber auch menschliche und gesellschaftliche Abgründe gelernt, als jemals zuvor.
Jeden Tag motivieren mich unsere Besucher*innen aufs Neue, meinen Beitrag für
eine sozial gerechtere Gesellschaft zu leisten. Das bedeutet für mich auch,
Öffentlichkeit schaffen für die strukturellen Probleme, mit denen es unsere
Besucher*innen zu tun haben. Deshalb war es mir auch ein leichtes, 'Ja' zu
sagen, als Lisi mich fragte, ob ich einen Gastbeitrag über meinen
Arbeitsbereich schreiben möchte.
Irgendwie ist es ein ganz normaler Job, aber irgendwie ist es
auch das komplette Gegenteil. Kein Tag ist wie der Andere und doch begegnen wir
ständig den gleichen Problemstellungen. In diesem Arbeitsfeld wurde ich das
erste Mal in einer professionellen Rolle mit so vielschichtigen Problemlagen
konfrontiert: Druck der Familie, Repression durch Polizei und Staatsanwaltschaft,
strukturelle Benachteiligung, persönliche Schicksale, Gewalt und auch manchmal
der Tod. Das sind alles Kontexte, die für unsere Besucher*innen Alltag sind und
für uns als Mitarbeiter*innen irgendwie auch zum (Arbeits-)Alltag werden.
Darauf kann uns kein Studium der Welt vorbereiten. Mittlerweile finde ich: Das
ist auch gut so. An manchen Tagen ist es schwierig, die Arbeit nicht mit nach
Hause zu nehmen, Einzelschicksale und Strukturen, die uns betroffen und auch
manches Mal wütend machen, an der Türschwelle abzuschütteln und mit einem
freien Kopf in den Feierabend zu gehen. Dafür ist ein funktionierendes Team
unglaublich wichtig. Auch das habe ich in der Einrichtung das erste Mal erleben
dürfen. Kolleg*innen, die ernsthaft um mein Wohl besorgt sind und mich
auffangen, wenn mich doch etwas mehr trifft, als es sollte. Aber manches nehme
ich dann eben doch mit, trotz alledem.
Das sind vor allem strukturelle Benachteiligungen unserer
Besucher*innen. Geschichten, in denen sie systematisch von der Polizei verfolgt
und unter Druck gesetzt sind. Geschichten, in denen eine gesundheitliche
Mindestversorgung aufgrund beispielsweise fehlender Krankenversicherung nicht gegeben ist – und das in einem Sozialstaat. Geschichten, die von
Verfolgung, Hass, menschlichen und gesellschaftlichen Abgründen erzählen.
Die Abhängigkeit illegalisierter Drogen bringt in der Regel
einen Lebenswandel mit sich, der niemals absolut legal sein kann. Alleine der
Handel mit und Besitz von Betäubungsmitteln ist strafbar,
während der Konsum das zum Glück nicht ist. Dass die Drogen, die gebraucht
werden, irgendwo her kommen müssen, sollte uns allen klar sein. Dass ein Staat den Kampf gegen die Drogen niemals komplett gewinnen kann, sollte mittlerweile
ebenso klar sein.
Dafür gibt es die Möglichkeit der Substitution.
Das heißt, ein Ersatzstoff, wie zum Beispiel Methadon, wird ärztlich
verschrieben. So können die Patient*innen, so heißt es, trotz Suchterkrankung
einem geregelten Alltag nachgehen. Die Hürden für eine Substitutionstherapie
sind meines Erachtens nach häufig noch viel zu hoch. Auch die Versorgung vor
Ort ist nicht in allen Städten und Gemeinden gegeben.
In vielen Städten gibt es mittlerweile Drogenkonsumräume.
Aber es gibt auch viele Gegenden, in denen es keinen einzigen gibt. Dazu zählt
zum Beispiel Bayern, das Bundesland, aus dem die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler kommt. Drogenkonsumräume retten Leben, reduzieren Infektionsrisiken, leisten
ihren Beitrag zur Verbesserung der Gesundheit der Drogengebraucher*innen. Vorallem in Bayern steigen die Drogentotenzahlen derweil weiter.
Drogenkonsum ist teuer, eine Konsumeinheit kostet ca. 10 Euro.
Die meisten unserer Cafébesucher*innen erhalten Hartz IV oder Sozialleistungen,
einige leben auf der Straße, die wenigsten haben gesicherte Jobs. Dadurch
entsteht Beschaffungskriminalität, das heißt kleine Diebstähle oder ähnliches.
Auch das Geld für Nahverkehrstickets ist dann knapp. In Folge bedeutet das:
Anzeigen, Gerichtsverfahren, Bußgelder (die nicht bezahlt werden können),
Gefängnis. Das führt häufig zu Wohnungsverlust oder der Kündigung beim Job.
Eine Abwärtsspirale, die schneller geht, als man es sich vorstellen kann. Nur
die wenigsten schaffen es, ihr Leben mit Drogengebrauch wie gewohnt zu
erhalten.
Leider beobachte ich immer wieder, wie unsere Besucher*innen auf
dem Weg zu unserer Einrichtung von der Polizei kontrolliert und verhaftet
werden. Dadurch wird den Menschen die Möglichkeit genommen, das Angebot der
Einrichtung zu nutzen. Das ist für mich schwer zu begreifen.
Mittlerweile leite ich aus meiner Arbeit einiges für mein
politisches Engagement ab. Wer häufig mit Problemlagen Anderer konfrontiert
ist, kann diese besser begreifen und im besten Fall auf anderen Ebenen ein
Sprachrohr sein. Es ist sinnvoll, für unser Klientel Partei zu ergreifen, eine
Lobby zu bilden und ein Mandat Richtung Politik und Gesellschaft wahrzunehmen. Ich
habe – glaube ich – einen Weg gefunden, das zu tun. So nehme ich an einigen
Stellen in der (Kommunal-)Politik meinen Einfluss wahr, um Strukturen zu ändern, die Gesellschaft etwas sozialer
und gerechter zu gestalten.
Es gibt Dinge, die sich meiner Meinung nach in der Drogenpolitik
zwingend ändern müssen, wenn wirklich alle Menschen selbstbestimmt leben
sollen:
- Legalisierung (mindestens von Cannabis, perspektivisch aber auch von Opiaten und anderen
Substanzen)
- Substitutionstherapie flächendeckend ermöglichen und
Diamorphin als Standard einführen
- Drogenkonsumräume in allen Bundesländern und größeren Städten
In der Politik ist es wichtig, dass auch gesellschaftliche
Randgruppen repräsentiert werden. Die Wirtschaft, Wohlfahrtspflege, Kinder,
Medizin und so weiter sind in den meisten Köpfen präsent. Das macht eine starke
Lobbyarbeit aus. Im Fall von drogengebrauchenden Menschen sieht das anders aus.
Da ist noch viel zu tun.
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